von Chefredakteurin Larissa Holaschke
Liebe Leser:innen
Es herrscht Krieg in Europa und in vielen anderen Teilen der Welt. Das Ausmass globaler Vertreibung hat im letzten Jahrzehnt zugenommen, eine Entwicklung, die sich auch für die Zukunft abzeichnet. Kriege und Gewalt sind die Hauptgründe für Flucht und Migrationsbewegungen. Darüber hinaus treiben wirtschaftliche Faktoren, Armut, Ernährungsunsicherheit und der spürbare Klimawandel – die Zunahme von Wetterextremen und Veränderungen der Ökosysteme – Migration zukünftig voran.
Wir nehmen das zum Anlass, um über die migrationsbedingte gesellschaftliche Transformation nachzudenken. Migration ist heute kein Ausnahmezustand, sondern zum Alltag der Schweizer Gesellschaft geworden. Ein Viertel der Menschen, die in der Schweiz leben, hat keine Schweizer Staatsbürgerschaft und damit auch kein Stimm- und Wahlrecht. Viele davon sind in der Schweiz aufgewachsen und leben seit Jahrzehnten hier. Dennoch machen zahlreiche Menschen immer wieder die Erfahrung, aufgrund ihres Aussehens, ihrer Sprache oder des Namens als «fremd» und nicht zugehörig betrachtet und behandelt zu werden. Konzepte und Narrative, wer dazugehört, werden der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in der Schweiz nicht gerecht, in der Migrationserfahrungen, transnationale Mobilität und Mehrfachzugehörigkeiten längst normal sind.
“Im Fokus dieser Ausgabe stehen Zukunftsperspektiven und künftige gesellschaftliche Aushandlungsprozesse für die Neustrukturierung und das Zusammenleben in der postmigrantischen Gesellschaft.”
Der Begriff des Postmigrantischen verweist auf eine Gesellschaft nach der Migration – eine Gesellschaft, in der Ein- und Auswanderung als ein nicht mehr rückgängig zu machendes Phänomen angesehen wird, welches das Land, in dem es ausgehandelt wird, prägt und reguliert. Der Begriff anerkennt, dass Migration in einer Gesellschaft Realität und nicht die Ausnahme ist. Dementsprechend wird in einer postmigrantischen Gesellschaft Vielfalt als Normalität begriffen und die Gegenüberstellung des Fremden und des Eigenen überwunden. Postmigrantisch zielt dabei nicht nur auf Migrant:innen, sondern auf alle Menschen in der Gesellschaft.
Im Fokus dieser Ausgabe stehen Zukunftsperspektiven und künftige gesellschaftliche Aushandlungsprozesse für die Neustrukturierung und das Zusammenleben in der postmigrantischen Gesellschaft.
Diversitätsexpertin Inés Mateos beschreibt in ihrem Beitrag die Schweiz als Einwanderungsland, das vor Herausforderungen steht, die das politische Selbstverständnis wie auch ihre Institutionen betreffen. Sie zeigt auf, wie sich Institutionen dringend transformieren und im Sinne eines postmigrantischen Turns zukunftsorientiert weiterentwickeln müssen. Die Soziologin Gülten Akgünlü beschäftigt sich in ihrem Artikel mit der Frage nach der «eigentlichen Heimat» und skizziert im Rahmen einer Vision der postmigrantischen Mehrheitsgesellschaft ideale Heimat(en) der Zukunft. Die Islamwissenschaftlerin Nadia Baghdadi beschreibt in ihrem Beitrag Rassismus als wandelbares Phänomen und gibt Einblicke in Entwicklungen, Widersprüche und Ambivalenzen. Darüber hinaus lädt sie ein, über Umgangsformen und das zukünftige Zusammentreffen im Alltag nachzudenken.
Soziale Ungleichheit zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und eine Diskreditierung kultureller Diversität untersucht der Soziologe Markus Ottersbach. Am Beispiel von sozialen Milieus in Deutschland zeigt er auf, welche Faktoren ausschlaggebend für eine erfolgreiche und kulturell diverse Sozialintegration sind. Ausblickend skizziert die Literaturwissenschaftlerin Nazli Hodaie, an welchen Stellen eine postmigrantische Perspektivierung der Schule der Migrationsgesellschaft ansetzen kann. Am Beispiel des Literaturunterrichts zeigt sie Grundzüge für die Verwirklichung des postmigrantischen Paradigmas auf.
“Auch inhaltlich haben wir das Redesign zum Anlass genommen, den thematischen Fokus um weitere Zukunftsausblicke zu ergänzen: Es erwartet Sie jeweils ein Zukunftsinterview, diesmal mit Nicola Forster, Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, über Zukünfte der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.”
Zukunft wird aus Mut gemacht. Sie werden es bereits bemerkt haben, wir haben die Zwischenzeit genutzt und das swissfuture-Magazin in ein zeitgemässes Gewand gehüllt. Auch inhaltlich haben wir das Redesign zum Anlass genommen, den thematischen Fokus um weitere Zukunftsausblicke zu ergänzen: Es erwartet Sie jeweils ein Zukunftsinterview, diesmal mit Nicola Forster, Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, über Zukünfte der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und in der Rubrik Studien zur Zukunft der Schweiz bieten wir eine Plattform für Studien aus unserem Netzwerk Zukunft Schweiz. In dieser Ausgabe skizziert das Bundesamt für Raumentwicklung vier Szenarien, wie sich das Verkehrsaufkommen zwischen 2025 und 2050 entwickeln könnte. Darüber hinaus verweisen Kurzabstracts auf weitere aktuelle Studien, von wo aus Sie direkt digital via QR-Code auf die vollständige Studie zugreifen können.Mit diesem Magazin beginnt ausserdem meine Chefredaktion bei swissfuture, und ich freue mich sehr, gemeinsam mit Ihnen, liebe Leser:innen, mögliche, wünschenswerte und alternative Zukünfte zu explorieren und zu gestalten. Ich hoffe, nicht nur das Magazin, sondern auch der digitale Auftritt von swissfuture wird Sie überraschen und Sie haben Freude am frischen Wind, der durch swissfuture weht.