von Chefredakteurin Larissa Holaschke

Liebe Leser:innen

Larissa Holaschke

Rohstoffe sind natürliche Ressourcen unseres Planeten. Sie stehen zu Beginn von industriellen Wertschöpfungsketten und sind Nährboden für Wachstum und Wohlstand unserer Gesellschaft. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat vieles verändert, auch unseren Blick und unseren Umgang mit Ressourcen: Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen äussern sich nicht nur in der Industrie, sondern zeigen sich deutlich impersönlichen Alltag, wie beim Autofahren, dem Stromverbrauch oder dem Heizen der Wohnung. Heute müssen nicht nur ökonomische Effizienz sowie ökologische und soziale Nachhaltigkeit miteinander in Einklang gebracht werden, sondern Abhängigkeiten und Lieferstoppandrohungen veranschaulichen gerade deutlich die machtpolitische Dimension von Rohstoffen.

“Zu den zehn grössten Unternehmen der Schweiz zählen sieben Rohstoffkonzerne wie Trafigura, Glencore, Vitol, Gunvor oder Mercuria. Dabei berühren die meisten Rohstoffe niemals Schweizer Boden, sondern werden direkt von Drittland zu Drittland transportiert.”

Die Schweiz spielt im weltweiten Rohstoffhandel eine bedeutende Rolle. Sie ist heute eine der grössten Handelsplätze von Erdöl, Metallen, Mineralien und Agrarprodukten und ist Weltmarktführerin beim Handel mit Zucker, Baumwolle, Ölsaaten und Getreide. Zu den zehn grössten Unternehmen der Schweiz zählen nicht nur bekannte Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder der Pharmakonzern Roche, sondern sieben darunter sind Rohstoffkonzerne wie Trafigura, Glencore, Vitol, Gunvor oder Mercuria. Dabei berühren die meisten Rohstoffe niemals Schweizer Boden, sondern werden direkt von Drittland zu Drittland transportiert.

Entwicklungen wie die Energiewende, Dekarbonisierung und Digitalisierung führen heute und erst in Zukunft zu einem starken Anstieg des Bedarfs an Seltenen Erden. Lithium, Kupfer, Nickel, Kobalt oder Silizium sind Treiber für digitale Technologien, erneuerbare Energien und die Verkehrswende. Sie zählen zu den sogenannten kritischen Rohstoffen aufgrund ihres Versorgungsrisikos und sind kaum durch andere Ressourcen zu ersetzen. Abbaugebiete von Rohstoffen, ebenso auch Anbaugebiete nachwachsender Rohstoffe, liegen oft in Ländern mit niedrigerenUmwelt- und Sozialstandards und für Korruption anfällige staatliche Organisationen. Rohstoffe bedeuten für die Bevölkerung an diesen Orten nicht Reichtum, sondern Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption, wobei eine kleine Elite davon profitiert. Umso wichtiger werden für uns Faktoren wie eine nachhaltige Produktion und fairer Handel.

“Als ein zentraler Rohstoff der Zukunft gilt ausserdem «Big Data», der zwar keiner Knappheit unterliegt und nicht an bestimmte geografische Orte gebunden ist, der aber ebenso machtpolitische Fragen aufwirft.”

Um den steigenden Bedarf an Rohstoffen zu decken, gewinnen Recycling und die Verwendung von Sekundärrohstoffen zunehmend an Bedeutung. Als ein zentraler Rohstoff der Zukunft gilt ausserdem «Big Data», der zwar keiner Knappheit unterliegt und nicht an bestimmte geografische Orte gebunden ist, der aber ebenso machtpolitische Fragen aufwirft.

In dieser Ausgabe richten wir den Blick auf Rohstoffe der Zukunft, die uns ökonomische, politische, gesellschaftliche, nachhaltige und ethische Perspektiven eröffnen, und diskutieren in diesem Kontext Fragen zu Verfügbarkeit, Versorgungssicherheit und Verantwortung.

Alessandra Hool, Luis Tercero und Patrick Wäger gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, was kritische Rohstoffe wie Kobalt, Lithium und Seltene Erden für die Schweiz bedeuten. Sie skizzieren Möglichkeiten, wie Risiken, die mit kritischen Rohstoffen verbunden sind, zukünftig entgegengewirkt werden könnten. Mit Sekundärrohstoffen, die durch Recycling gewonnen werden, als Alternative zu Primärrohstoffenbeschäftigen sich Franziska Müller-Reissmann und Leonor Kotoun vom Verein Material-Archiv. Sie geben Einblicke in Ressourcen, an deren gesellschaftlicher Akzeptanz erst noch gearbeitet werden muss, um diese zukünftig nutzbar zu machen.

Die Digitalisierungsexpertinnen Nikki Böhler und Nathalie Klauser befassen sich in ihrem Artikel mit Daten als Rohstoff des digitalen Zeitalters. Obwohl sie aufzeigen, wie der Vergleich Limitationen vorweist, erläutern sie Gemeinsamkeiten in Bezug auf Auswirkungen von Macht und Ungerechtigkeiten und bieten Lösungsansätze für eine nachhaltige Zukunft mit digitalen Daten als Rohstoff.

“In unserem Zukunftsinterview erwartet Sie Walter Thurnherr, aktueller Bundeskanzler der Schweiz, der unter anderem für Früherkennung und Krisen-Analysen zuhanden der Landesregierung zuständig ist.”

Der Politologe und Zukunftsforscher Daniel Stanislaus Martel beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Sicherung der Rohstoffversorgung in der Schweiz. Am Beispiel der metallverarbeitenden Industrie illustriert er vier Zukunftsszenarien zur Ressourcenpolitik. Ausblickend erläutert Datenethikerin Lea Strohm am Beispiel der Datengenossenschaft Posmo ein Zukunftsmodell für den Umgang mit der Ressource Daten. Im Zentrum stehen dabei der ethische Umgang mit sensitiven personenbezogenen Daten und der Antrieb für ein demokratisch gemeinschaftliches und faires Modell für die Datenökonomie.

In unserem Zukunftsinterview erwartet Sie Walter Thurnherr, aktueller Bundeskanzler der Schweiz, der unter anderem für Früherkennung und Krisen-Analysen zuhanden der Landesregierung zuständig ist. Alle vier Jahre erstellt die Bundeskanzlei hierfür einen Bericht, aktuell erschienen ist «Schweiz 2035». Im exklusiven Interview mit swissfuture nimmt Walter Thurnherr Stellung zur Lage- und Umfeldanalyse. Eine Zusammenfassung über die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts «Schweiz 2035» finden Sie ausserdem in der Rubrik Studien zur Zukunft der Schweiz.

Eine inspirierende Lektüre wünscht

Larissa Holaschke